Ohne die Pflege der narrativen Tradition, ohne literarische Lesekompetenz ist die Sozialität und Herzensbildung der Menschen gefährdet. Ihnen fehlt der Spiegel, den ihnen die Literatur vorzuhalten im Stande ist. Ihnen ist die Chance genommen, aus dem gefahrlosen Raum des Fiktiven Schlüsse für ihre Lebenswirklichkeit ziehen zu können. Es stimmt, was Herder sagt: Der Rückzug in literarische Welten birgt die Gefahr der „Überalterung des Geistes“, die Lebenserfahrung muss einhergehen mit dem Gelesenen. Doch es stimmt auch: Die Lebenserfahrung braucht das Korrektiv der Literatur, das Subjekt braucht die Orientierung, die auch heute nicht nur Medienstars bieten sollten, sondern literarische Helden noch immer nachhaltiger bieten können. Die anspruchsvolle Literatur hat nicht nur einen unterhaltenden Charakter. Sie ist unterhaltend, wenn man sich nur auf sie einlässt und bietet doch immer auch ein Erfahrungspotential an, ohne dieses aufzudrängen.