Der Herr der Schrauben

Wer normalerweise nur Business- und Managementbücher liest und als rein Erfolgsorientierter eher selten auf die wilden Bücher von Helge Timmerberg stoßen dürfte, – der sich ja eher mit den schicksalhaften, überraschenden ja auch rauschhaften Phänomenen des Lebens auseinandersetzt -, der hat nun die Gelegenheit die außergewöhnliche Biografie des Schrauben-Weltmarkführers und Milliardärs Reinhold Würth aus der Feder von Helge Timmerberg zu genießen. Denn trotz der Zielgerichtetheit und Wachstumsorientiertheit ein ganzes Leben lang, vermag der Journalist bei Würths Lebenslauf und unfassbar erfolgreichen Gestaltung seines Firmenkosmos‘ Eigenschaften zu entdecken, die zeigen, dass es ihm zwar immer auch um Profitsteigerung ging, er persönlich aber letztlich von etwas ganz anderem geleitet wurde. Nicht nur in seiner Eigenschaft als großer Kunstmäzen, der Würth über die Jahrzehnte geworden ist, zeigt sich, dass es ihm letztlich im Kern eben doch immer um etwas Immaterielles ging. Timmerberg bringt es so auf den Punkt: „… es ist ihm anzusehen, dass ‚Grenzen akzeptieren‘ ihm grundsätzlich suspekt erscheint.“ Insofern ein sehr lesenswertes Wirtschaftsbuch für Fortgeschrittene.

Timmerberg, Helge: Reinhold Würth. Der Herr der Schrauben. Piper, München 2020, ISBN 978-3-492-07003-4, geb.: 208 Seiten

Das Mantra gegen die Angst

Der Literatur SPIEGEL nennt Helge Timmerberg einen ewigen Hippie mit Humor. Unter Hippies stellt man sich ja gemeinhin Langhaarige vor, die mit bürgerlichen Werten eher weniger am Hut haben. Und Timmerberg hat, ganz Hippie, schon so manches spannende Abenteuer erlebt, auf dass sich brave Bürger niemals eingelassen hätten. Davon zeugt sein umfangreiches Werk. Aber die Hippiefreiheit muss nicht bedeuten, respektlos zu sein. Ganz im Gegenteil. In seinem neuesten Buch, „Das Mantra gegen die Angst oder Ready for everything: Neun Tage in Kathmandu“ (2019) werden wir Zeuge, wie der Autor nur auf eine Vermutung hin extra viele tausend Kilometer nach Kathmandu reist, um nach 15 Jahren einen Yogi wiederzufinden, der ihm damals ein Mantra gegen die Angst anvertraut hatte. Da Timmerberg in Sachen Glaube ein ewiger Zweifler ist (Auf die Frage „Was kommt nach dem Tod?“ antwortete er einmal: „Weiß ich nicht. Alle, die darauf antworten könnten, sind bereits tot.“), erstaunt es umso mehr, dass er sich eigens die Erlaubnis von ihm einholen will, dieses Mantra Dritten, also den Lesern seines neuesten Buches, zu verraten, obwohl von einem expliziten Verbot nie die Rede war. Ob er den Yogi gefunden hat und was es mit dem Mantra auf sich hat, das erfährt man in diesem gewohnt unterhaltsamen Buch, dass einmal mehr zeigt, dass Hedonismus und Erkenntnissuche keinen Widerspruch darstellen müssen.

Timmerberg, Helge: Das Mantra gegen die Angst oder Ready for everything. Neun Tage in Kathmandu. Malik, München 2019, ISBN 978-3-89029-453-7, geb.: 176 Seiten

Der lustige Diktator

Origineller Titel, ja sogar Spiegel-Bestseller, und so ein lustiges Kerlchen auf dem Cover, na da greift man dann schlussendlich doch gerne mal zu. Ja, als Verleger ärgert man sich vielleicht sogar, dass man nicht selbst auf diese Lücke gekommen ist, ein humoriges Buch über Nordkorea und seinen dicken Diktator zu verlegen, einem Männchen, den man bei dem Bild auf dem Cover doch eigentlich gar nicht so böse sein kann, oder? Es handelt sich um Christian Eiserts Buch „Kim & Struppi. Ferien in Nordkorea“. Doch je mehr man liest von der stets bewachten Reise zweier als Touristen getarnten Journalisten durch das befremdliche Land, desto mehr überkommt einen ein unangenehmes Gefühl. Natürlich kann der Autor nichts für die Langeweile, die beim Lesen entsteht, wenn die beiden Protagonisten letztlich nie mehr als von der ständigen Bewachung und allenfalls der inszenierten Oberfläche dieses Landes berichten können. Und schon gar nicht für die im Buch so gut wie nicht erwähnten Grausamkeiten dieser Diktatur. Wenn man dann aber von dem Schicksal von Shin Dong-Hyuk hört und sein von Blaine Harden geschriebenes Buch „Flucht aus Lager 14“ über sein Leben und seine Flucht aus dem nordkoreanischen Gulag liest, wird das ach so lustige „Kim & Struppi“-Buch zum Ärgernis. Shin Dong-hyuk wurde in einem Arbeitslager für politische Gefangene als Kind von vermeintlichen Straftätern geboren, der es bislang als einziger geschafft hat, nicht nur aus dem Lager, sondern nach Jahren auch aus Nordkorea zu fliehen. Er war in einem Lager, dass zumindest einem der frühen Konzentrationslager in Deutschland so gut wie in nichts nachsteht. Nach Lektüre dieses erschütternden Berichts fragt man sich, inwiefern man es verantworten kann, für eine wenig ergiebige Reise in „Kim & Struppi“, die zudem das vieltausendfache Leiden der Menschen so gut wie ausblendet (im Lager isst man Ratten, nagt an Bäumen und denunziert seine Klassenkameraden, die schon mal wegen einem (einem!) Reiskorn vom Lehrer totgeschlagen werden.), ob man auch nur einen systemerhaltenden Euro Devisen ins Land bringen sollte. Schließlich hatten verantwortungsbewusste Weltbürger bislang bei Ländern, in denen keine Freizügigkeit herrscht, wie z.B. Kuba, sich dreimal überlegt, ob es moralisch vertretbar sei, dort Urlaub mit entsprechendem Devisenimport zu verbringen.
Bei Kuba bin ich mir heute nicht mehr so sicher, dort wird wenigstens getanzt und gesungen und niemand hungert, in Nordkorea aber werden Menschen abgeschlachtet, allein schon, weil sie aus Hunger gestohlen oder vermeintlich das Falsche gedacht haben.
Fazit: „Kim & Struppi“ muss man nicht gelesen haben. „Flucht aus Lager 14“ dagegen hat einen Stellenwert wie „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder Solschenizyns „Der Archipel Gulag“. Im übrigen kommen Einnahmen aus dem Buch dem bedauernswerten Flüchtling Shin Dong-Hyuk zu gute, der ein Leben führen musste, wie man es sich als gesättigter Abendländer nicht im schlimmsten Alptraum vorzustellen vermag.

Helge Timmerberg: „Die rote Olivetti“ (Rezension)

Ein Leben wie ein Film. Wieder ein echter, großartiger Timmerberg!
Wenn man sich eingegroovt hat, ist das Buch nur viel zu schnell zu Ende. Aber Piper hat ja extra dickes Papier gewählt. Liegt also gut in der Hand. Größte Freude für Durchschnittsleser, also die, die mit angezogener Handbremse im Leben unterwegs sind: Hier lebt ein Autor stellvertretend ein wildes, kompromissloes Leben und hat den Mut, sich nicht zu schonen (auch nicht bei den schönen Dingen des Lebens). Größte Frustration für den Durchschnittsleser: der Leser ist nach der Lektüre immer noch derselbe. Gut, er fasst vielleicht Vorsätze – dann wäre es sogar auch ein pädagogisch wertvolles Buch – während Helge Timmerberg weiter durchs Leben surft.
„Die rote Olivetti“ erzählt von Timmerbergs Lebensreise von den Anfängen als Hippie zum Lokaljournalisten in Bielefeld, vom Restaurantbetreiber zum Umweltaktivisten, von der ersten STERN-Reportage bis zum ausschweifenden Journalistenleben auf Kuba, immer angetrieben vom Rock’n’Roll und natürlich Salsa. Eine new-journalistische Reportage über das eigene Leben, die nichts auslässt: Abenteuer, Niederlagen, Erfolge, Drogen und Sex. Und alles immer durchdrungen von Timmerbergs besonderem Humor, mal drastisch und politisch inkorrekt, mal spirituell angehaucht. Da macht sich das tägliche Meditieren bezahlt. Sie finden, das ist ein blasphemischer Satz? Stimmt. Aber genau so ist New Journalism: frech aber authentisch. Und den hat Helge Timmerberg in Deutschland eingeführt. Nicht nur die Fakten zählen, auch das Subjektive. Und das bedeutet für ihn zu leben und zu schreiben frei nach dem Motto von Yogi Kashinath, mit dem Timmerberg durch den Himalaja wandert: „I’m ready for everything.“

Denkmal der Woche

„Alles, was wir lesen, sagt uns immer nur so viel, als wir schon selber wissen, denn über alles, wofür wir noch nicht reif sind, lesen wir hinweg, auch beim besten Willen: Bücher können uns eigentlich nur Hebammen sein.“
(Hermann Bahr)