Der lustige Diktator

Origineller Titel, ja sogar Spiegel-Bestseller, und so ein lustiges Kerlchen auf dem Cover, na da greift man dann schlussendlich doch gerne mal zu. Ja, als Verleger ärgert man sich vielleicht sogar, dass man nicht selbst auf diese Lücke gekommen ist, ein humoriges Buch über Nordkorea und seinen dicken Diktator zu verlegen, einem Männchen, den man bei dem Bild auf dem Cover doch eigentlich gar nicht so böse sein kann, oder? Es handelt sich um Christian Eiserts Buch „Kim & Struppi. Ferien in Nordkorea“. Doch je mehr man liest von der stets bewachten Reise zweier als Touristen getarnten Journalisten durch das befremdliche Land, desto mehr überkommt einen ein unangenehmes Gefühl. Natürlich kann der Autor nichts für die Langeweile, die beim Lesen entsteht, wenn die beiden Protagonisten letztlich nie mehr als von der ständigen Bewachung und allenfalls der inszenierten Oberfläche dieses Landes berichten können. Und schon gar nicht für die im Buch so gut wie nicht erwähnten Grausamkeiten dieser Diktatur. Wenn man dann aber von dem Schicksal von Shin Dong-Hyuk hört und sein von Blaine Harden geschriebenes Buch „Flucht aus Lager 14“ über sein Leben und seine Flucht aus dem nordkoreanischen Gulag liest, wird das ach so lustige „Kim & Struppi“-Buch zum Ärgernis. Shin Dong-hyuk wurde in einem Arbeitslager für politische Gefangene als Kind von vermeintlichen Straftätern geboren, der es bislang als einziger geschafft hat, nicht nur aus dem Lager, sondern nach Jahren auch aus Nordkorea zu fliehen. Er war in einem Lager, dass zumindest einem der frühen Konzentrationslager in Deutschland so gut wie in nichts nachsteht. Nach Lektüre dieses erschütternden Berichts fragt man sich, inwiefern man es verantworten kann, für eine wenig ergiebige Reise in „Kim & Struppi“, die zudem das vieltausendfache Leiden der Menschen so gut wie ausblendet (im Lager isst man Ratten, nagt an Bäumen und denunziert seine Klassenkameraden, die schon mal wegen einem (einem!) Reiskorn vom Lehrer totgeschlagen werden.), ob man auch nur einen systemerhaltenden Euro Devisen ins Land bringen sollte. Schließlich hatten verantwortungsbewusste Weltbürger bislang bei Ländern, in denen keine Freizügigkeit herrscht, wie z.B. Kuba, sich dreimal überlegt, ob es moralisch vertretbar sei, dort Urlaub mit entsprechendem Devisenimport zu verbringen.
Bei Kuba bin ich mir heute nicht mehr so sicher, dort wird wenigstens getanzt und gesungen und niemand hungert, in Nordkorea aber werden Menschen abgeschlachtet, allein schon, weil sie aus Hunger gestohlen oder vermeintlich das Falsche gedacht haben.
Fazit: „Kim & Struppi“ muss man nicht gelesen haben. „Flucht aus Lager 14“ dagegen hat einen Stellenwert wie „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder Solschenizyns „Der Archipel Gulag“. Im übrigen kommen Einnahmen aus dem Buch dem bedauernswerten Flüchtling Shin Dong-Hyuk zu gute, der ein Leben führen musste, wie man es sich als gesättigter Abendländer nicht im schlimmsten Alptraum vorzustellen vermag.

Helge Timmerberg: „Die rote Olivetti“ (Rezension)

Ein Leben wie ein Film. Wieder ein echter, großartiger Timmerberg!
Wenn man sich eingegroovt hat, ist das Buch nur viel zu schnell zu Ende. Aber Piper hat ja extra dickes Papier gewählt. Liegt also gut in der Hand. Größte Freude für Durchschnittsleser, also die, die mit angezogener Handbremse im Leben unterwegs sind: Hier lebt ein Autor stellvertretend ein wildes, kompromissloes Leben und hat den Mut, sich nicht zu schonen (auch nicht bei den schönen Dingen des Lebens). Größte Frustration für den Durchschnittsleser: der Leser ist nach der Lektüre immer noch derselbe. Gut, er fasst vielleicht Vorsätze – dann wäre es sogar auch ein pädagogisch wertvolles Buch – während Helge Timmerberg weiter durchs Leben surft.
„Die rote Olivetti“ erzählt von Timmerbergs Lebensreise von den Anfängen als Hippie zum Lokaljournalisten in Bielefeld, vom Restaurantbetreiber zum Umweltaktivisten, von der ersten STERN-Reportage bis zum ausschweifenden Journalistenleben auf Kuba, immer angetrieben vom Rock’n’Roll und natürlich Salsa. Eine new-journalistische Reportage über das eigene Leben, die nichts auslässt: Abenteuer, Niederlagen, Erfolge, Drogen und Sex. Und alles immer durchdrungen von Timmerbergs besonderem Humor, mal drastisch und politisch inkorrekt, mal spirituell angehaucht. Da macht sich das tägliche Meditieren bezahlt. Sie finden, das ist ein blasphemischer Satz? Stimmt. Aber genau so ist New Journalism: frech aber authentisch. Und den hat Helge Timmerberg in Deutschland eingeführt. Nicht nur die Fakten zählen, auch das Subjektive. Und das bedeutet für ihn zu leben und zu schreiben frei nach dem Motto von Yogi Kashinath, mit dem Timmerberg durch den Himalaja wandert: „I’m ready for everything.“

Denkmal der Woche

„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.“ (George Bernard Shaw)

Das Defizit des Kommunikationszeitalters

Der Schriftsteller Botho Strauß hat einmal das zentrale Defizit des Kommunikationszeitalters in Erweiterung zu Sokrates treffend auf den Punkt
gebracht: „Ich weiß, daß ich nichts weiß, ich weiß nur, daß ich informiert bin.“
Die Tatsache, dass Information nicht gleich Erkenntnis und Weltwissen ist, scheint kaum noch geläufig zu sein. Durch die Beschleunigung der Informationsvermittlung kann Information geradezu zum Verhinderer von Erkenntnis werden, wenn letzte Zeitfreiräume mit neuesten Nachrichten – per SMS aufs Handy oder auf den Laptop gesendet – die Aufmerksamkeit okkupieren. Aber sie wird nicht zwangsläufig erduldet, denn für viele Menschen ist diese dauerhafte Berieselung mit Informationen ähnlich wie Hintergrundmusik mutmaßlich nur ein Vorwand, um sich nicht mit sich selbst
beschäftigen zu müssen und die Stille und die Leere zu ertragen, die entsteht, wenn man nicht angeschlossen ist an den Strom der elektronischen Medien. Und doch werden Bücher gelesen, denn viele Menschen spüren, dass ihnen etwas fehlt. Martin Walser sagt diesbezüglich: „Wenn der WELT, in der man lebte, nicht ernsthaft etwas FEHLTE, würde man nicht LESEN.“

Computer in der Grundschule?

Die Politik hat zwar das Thema Bildung entdeckt, doch etwa den Ansatz, schon für die früheste Grundschule Computer anzuschaffen, kann man getrost als blinden Aktionismus ohne entwicklungspsychologische Fundierung werten. Denn gemäß der pädagogischen Erkenntnis, „Erst laufen, dann Rad fahren“, hat sich gezeigt, dass erst die Lesekompetenz verfestigt sein muss, bevor es Sinn macht, andere Medien zu forcieren. Schon der durch Eltern täglich im Durchschnitt gewährte Fernsehkonsum ist erschreckend hoch und dürfte dem Lesen und Lesenlernen nicht gerade förderlich sein. Deshalb muss die Forderung lauten, dass die zweckfreie Beschäftigung mit dem insbesondere fiktionalen Buch, die nicht visuell vorgeprägt ist und das damit verknüpfte Vergnügen wieder als Werte in den Erziehungsbemühungen seinen gebührenden Niederschlag finden.

Die Renaissance des Lesens

Aktivität, Konstruktivität, dies sind – genau wie die Entspannung – Grundbedürfnisse des Menschen. Erst recht des jungen Menschen, des quirligen, ewig neugierigen Kindes. Nur der Text – der durch die Sprache Wirklichkeitsentwürfe allein in Konturen vorzugeben vermag, die der Rezipient beim Lesen „ausmalen“ kann – bietet der Fantasie einen echten Spielraum im Vergleich zur die Fantasie präfigurierenden visuellen Darstellung. Vielleicht ist damit der Erfolg solcher (Kinder-)Bücher zu erklären, die aus medialen Gründen Leerstellen für des Lesers Kreativität bieten, diese mit narrativen Mitteln aber zugleich noch in verstärktem Maße zu füllen herausfordern. Die Rede ist von Harry Potter, der eine – zumindest medial stark beachtete – Renaissance der Leselust bei Kindern und Jugendlichen initiierte – sicherlich auch, weil er sie zur Konstruktion einer fantastisch-faszinierenden Welt animierte. Dass auch eine größere Zahl von Erwachsenen sich in der zauberhaften Sphäre des kleinen Magiers wohlfühlt und Vergnügen an deren Konstruktion hat, kann man als Indiz dafür werten, dass dieses Bedürfnis der aktiven Teilhabe auch bei auf eher vorgekaute Unterhaltung eingestellten Erwachsenen nicht zwangsläufig versiegen muss.