Lob der Buchpreisbindung

Dass es bei uns in Deutschland immer noch eine Buchpreisbindung gibt, die das Buch als staatlich anerkanntes Kulturgut schützt und die trotz fortschreitender Ökonomisierung des Buchmarkts eine unerreichte prinzipielle Vielfalt der Buchkultur ermöglicht, kann nicht unterschätzt werden. So kann wenigstens die Minderheit der Leser, die noch jenseits des Mainstreams auf Entdeckungstour gehen, fündig und bereichert werden. Und es bleibt zu hoffen, dass die unschätzbaren Impulse, die diese Leser aus dem Schatz der Literatur gewinnen können, in die nicht lesende Gesellschaft zurückwirken.

Ein Drittel Bilderbuch pro Kind

Lesekompetenz erwächst aus Leselust. Nicht nur – aber so am nachhaltigsten. Und es gibt auch zahlreiche rührige Aktionen wie Lesenächte in Büchereien oder Vorlesestunden in Buchhandlungen, welche die Leselust der Kinder und Jugendlichen wecken und schüren wollen. Und die doch so eigentlich erst einmal ein positives, ein optimistisches Bild zeichnen. Doch Vorsicht, die bereits bei den erwachsenen Lesern festgestellten Defizite setzen sich bei den Kindern in noch dramatischerem Ausmaß fort. Denn genau diese Erwachsenen, die in der überwiegenden Mehrheit selbst kaum noch über Lesekompetenz verfügen, sind natürlich auch immer weniger bereit oder in der Lage, ihren Kindern vorzulesen oder zum Lesen anzuleiten. Leseschwäche und Leseunlust mangels Vorbildern in den Familien sind gang und gäbe, denn etwa erschreckende zwei Drittel der Familien lesen nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind ausgeprägte Lesekompetenz erwirbt, ist nur dann relativ hoch, so eine Studie, wenn beide Eltern Vielleser sind. Lassen Sie sich einmal folgende Zahlen auf der Zunge zergehen. In einer Zeitungsglosse wurde kürzlich unterstellt, dass wenn uns diese authentischen Zahlen aus Somalia oder Usbekistan erreichen würden, sich eine riesige Bilderbuchspendenwelle über das unterversorgte Land aus Deutschland ergießen würde. Bei dem Entwicklungsland handelt es sich aber um Deutschland selbst. Hier leben ca. 4,5 Millionen Kinder unter sechs Jahren, für die im Jahr rund 1,4 Millionen Bilderbücher gekauft wurden. Das macht lediglich ein Drittel Bilderbuch pro Kind! Addieren Sie dazu noch die Ergebnisse der Pisa-Studie, die Tatsache, dass es bereits 10% Sozialphobiker unter Kindergartenkindern gibt und dass 4 von 10 Grundschulkindern unter Sprachstörungen leiden. Offensichtlich vermag auch die Schule die Defizite der Elternhäuser nicht zu kompensieren. Den Zugang zur Literatur, den die Jugendlichen später in der Schule angeboten bekommen, wird leider oft nur als kanonische Pflichtübung vermittelt, so dass das eigentliche Ziel, die Leselust zu fördern, verfehlt wird. Folgen sind lebenslange Leseschwäche, Desinteresse an Büchern, weil sie nie auf den Geschmack gebracht worden sind, und Schwierigkeiten bei der Eingliederung in die Arbeitswelt. Und es besteht die Gefahr, wenn die Gesellschaft nicht deutlich gegensteuert, dass der Verfall der allgemeinen Lesekompetenz sich weiter fortsetzt. 20 % der jungen Menschen können schon heute nicht in Ausbildungsberufe vermittelt werden, weil sie Mindestanforderungen nicht erfüllen.

Buchkauf

„Ich möchte gern ein Buch bei Ihnen kaufen.
Was drin steht, ist mir gänzlich einerlei.
Der Mensch lebt, heißt es, nicht allein vom Saufen.
Auch wünsch‘ ich dringend, daß es billig sei.
Die älteste Tochter will ich zum Gedenken
Der ersten Kommunion damit beschenken.“
Frank Wedekind in „Lulu“

Narrative Tradition

Ohne die Pflege der narrativen Tradition, ohne literarische Lesekompetenz ist die Sozialität und Herzensbildung der Menschen gefährdet. Ihnen fehlt der Spiegel, den ihnen die Literatur vorzuhalten im Stande ist. Ihnen ist die Chance genommen, aus dem gefahrlosen Raum des Fiktiven Schlüsse für ihre Lebenswirklichkeit ziehen zu können. Es stimmt, was Herder sagt: Der Rückzug in literarische Welten birgt die Gefahr der „Überalterung des Geistes“, die Lebenserfahrung muss einhergehen mit dem Gelesenen. Doch es stimmt auch: Die Lebenserfahrung braucht das Korrektiv der Literatur, das Subjekt braucht die Orientierung, die auch heute nicht nur Medienstars bieten sollten, sondern literarische Helden noch immer nachhaltiger bieten können. Die anspruchsvolle Literatur hat nicht nur einen unterhaltenden Charakter. Sie ist unterhaltend, wenn man sich nur auf sie einlässt und bietet doch immer auch ein Erfahrungspotential an, ohne dieses aufzudrängen.

Was wir verdienen

„Statt zu klagen, daß wir nicht alles haben, was wir wollen, sollten wir lieber dankbar sein, daß wir nicht alles bekommen, was wir verdienen.“ (Dieter Hildebrandt)

Science-Fiction des Buches

Galt gerade noch der Ebook-Reader als der letzte Schrei, gibt es jetzt schon biegbare Bildschirme. Und die Projektion von Inhalten direkt auf die Netzhaut auch ohne Google-Brille ist schon längst in Arbeit. Was bedeutet das zu Ende gedacht? Lebte das Lesen bislang von der Interaktion, der lustvollen Begegnung oder beängstigenden Konfrontation mit überraschenden, anderen Welten, so droht irgendwann der Unterschied zwischen eigenen Gedanken und den Projektionen ins Gehirn zu verschwimmen (ja, auch Gehirn-Maschine-Interfaces gibt es heute bereits in rudimentärer Form). Werden wir dann in Zukunft noch staunen oder über uns selbst nachdenken oder nehmen wir alles hin, weil es ja schon Teil von uns zu sein scheint? Aber vielleicht wird das ja nur noch ein gradueller Unterschied zu heute sein, wenn man bedenkt, mit welcher Leichtgläubigkeit oft Propaganda der Medien (ja, die gibt es auch im Westen) als eigene Meinung adaptiert wird.