Über solibro

Hier schreibt Wolfgang Neumann, Verleger des Solibro Verlags.

Computer in der Grundschule?

Die Politik hat zwar das Thema Bildung entdeckt, doch etwa den Ansatz, schon für die früheste Grundschule Computer anzuschaffen, kann man getrost als blinden Aktionismus ohne entwicklungspsychologische Fundierung werten. Denn gemäß der pädagogischen Erkenntnis, „Erst laufen, dann Rad fahren“, hat sich gezeigt, dass erst die Lesekompetenz verfestigt sein muss, bevor es Sinn macht, andere Medien zu forcieren. Schon der durch Eltern täglich im Durchschnitt gewährte Fernsehkonsum ist erschreckend hoch und dürfte dem Lesen und Lesenlernen nicht gerade förderlich sein. Deshalb muss die Forderung lauten, dass die zweckfreie Beschäftigung mit dem insbesondere fiktionalen Buch, die nicht visuell vorgeprägt ist und das damit verknüpfte Vergnügen wieder als Werte in den Erziehungsbemühungen seinen gebührenden Niederschlag finden.

Die Renaissance des Lesens

Aktivität, Konstruktivität, dies sind – genau wie die Entspannung – Grundbedürfnisse des Menschen. Erst recht des jungen Menschen, des quirligen, ewig neugierigen Kindes. Nur der Text – der durch die Sprache Wirklichkeitsentwürfe allein in Konturen vorzugeben vermag, die der Rezipient beim Lesen „ausmalen“ kann – bietet der Fantasie einen echten Spielraum im Vergleich zur die Fantasie präfigurierenden visuellen Darstellung. Vielleicht ist damit der Erfolg solcher (Kinder-)Bücher zu erklären, die aus medialen Gründen Leerstellen für des Lesers Kreativität bieten, diese mit narrativen Mitteln aber zugleich noch in verstärktem Maße zu füllen herausfordern. Die Rede ist von Harry Potter, der eine – zumindest medial stark beachtete – Renaissance der Leselust bei Kindern und Jugendlichen initiierte – sicherlich auch, weil er sie zur Konstruktion einer fantastisch-faszinierenden Welt animierte. Dass auch eine größere Zahl von Erwachsenen sich in der zauberhaften Sphäre des kleinen Magiers wohlfühlt und Vergnügen an deren Konstruktion hat, kann man als Indiz dafür werten, dass dieses Bedürfnis der aktiven Teilhabe auch bei auf eher vorgekaute Unterhaltung eingestellten Erwachsenen nicht zwangsläufig versiegen muss.

Lob der Buchpreisbindung

Dass es bei uns in Deutschland immer noch eine Buchpreisbindung gibt, die das Buch als staatlich anerkanntes Kulturgut schützt und die trotz fortschreitender Ökonomisierung des Buchmarkts eine unerreichte prinzipielle Vielfalt der Buchkultur ermöglicht, kann nicht unterschätzt werden. So kann wenigstens die Minderheit der Leser, die noch jenseits des Mainstreams auf Entdeckungstour gehen, fündig und bereichert werden. Und es bleibt zu hoffen, dass die unschätzbaren Impulse, die diese Leser aus dem Schatz der Literatur gewinnen können, in die nicht lesende Gesellschaft zurückwirken.

Ein Drittel Bilderbuch pro Kind

Lesekompetenz erwächst aus Leselust. Nicht nur – aber so am nachhaltigsten. Und es gibt auch zahlreiche rührige Aktionen wie Lesenächte in Büchereien oder Vorlesestunden in Buchhandlungen, welche die Leselust der Kinder und Jugendlichen wecken und schüren wollen. Und die doch so eigentlich erst einmal ein positives, ein optimistisches Bild zeichnen. Doch Vorsicht, die bereits bei den erwachsenen Lesern festgestellten Defizite setzen sich bei den Kindern in noch dramatischerem Ausmaß fort. Denn genau diese Erwachsenen, die in der überwiegenden Mehrheit selbst kaum noch über Lesekompetenz verfügen, sind natürlich auch immer weniger bereit oder in der Lage, ihren Kindern vorzulesen oder zum Lesen anzuleiten. Leseschwäche und Leseunlust mangels Vorbildern in den Familien sind gang und gäbe, denn etwa erschreckende zwei Drittel der Familien lesen nicht vor. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind ausgeprägte Lesekompetenz erwirbt, ist nur dann relativ hoch, so eine Studie, wenn beide Eltern Vielleser sind. Lassen Sie sich einmal folgende Zahlen auf der Zunge zergehen. In einer Zeitungsglosse wurde kürzlich unterstellt, dass wenn uns diese authentischen Zahlen aus Somalia oder Usbekistan erreichen würden, sich eine riesige Bilderbuchspendenwelle über das unterversorgte Land aus Deutschland ergießen würde. Bei dem Entwicklungsland handelt es sich aber um Deutschland selbst. Hier leben ca. 4,5 Millionen Kinder unter sechs Jahren, für die im Jahr rund 1,4 Millionen Bilderbücher gekauft wurden. Das macht lediglich ein Drittel Bilderbuch pro Kind! Addieren Sie dazu noch die Ergebnisse der Pisa-Studie, die Tatsache, dass es bereits 10% Sozialphobiker unter Kindergartenkindern gibt und dass 4 von 10 Grundschulkindern unter Sprachstörungen leiden. Offensichtlich vermag auch die Schule die Defizite der Elternhäuser nicht zu kompensieren. Den Zugang zur Literatur, den die Jugendlichen später in der Schule angeboten bekommen, wird leider oft nur als kanonische Pflichtübung vermittelt, so dass das eigentliche Ziel, die Leselust zu fördern, verfehlt wird. Folgen sind lebenslange Leseschwäche, Desinteresse an Büchern, weil sie nie auf den Geschmack gebracht worden sind, und Schwierigkeiten bei der Eingliederung in die Arbeitswelt. Und es besteht die Gefahr, wenn die Gesellschaft nicht deutlich gegensteuert, dass der Verfall der allgemeinen Lesekompetenz sich weiter fortsetzt. 20 % der jungen Menschen können schon heute nicht in Ausbildungsberufe vermittelt werden, weil sie Mindestanforderungen nicht erfüllen.

Buchkauf

„Ich möchte gern ein Buch bei Ihnen kaufen.
Was drin steht, ist mir gänzlich einerlei.
Der Mensch lebt, heißt es, nicht allein vom Saufen.
Auch wünsch‘ ich dringend, daß es billig sei.
Die älteste Tochter will ich zum Gedenken
Der ersten Kommunion damit beschenken.“
Frank Wedekind in „Lulu“