Cliffhanger war gestern – über die Bürden des Sachbuchs

Man liest immer wieder, dass das Sachbuch im Ebook-Bereich unter ferner liefen laufe. Das stimmt wohl. Doch auch im Printbereich ist es nicht so leicht wie früher. Denn viele Medien sind nicht zuletzt aufgrund der Einsparzwänge dazu übergegangen, Sachbücher als eigenen Content auszuschlachten und dies dem Rechteinhaber Verlag als Werbemaßnahme schmackhaft zu machen. So steht der Verlag vor dem Dilemma, einerseits auf „Rezensionen“ existentiell angewiesen zu sein, andererseits sich nun aber genötigt zu sehen, kostenfrei Abdruckrechte oftmals über mehrere Seiten einzuräumen, für die es in früheren Zeiten zumindest ein Anerkennungshonorar gegeben hat. Das ist doppelt nachteilig, da durch die umfangreiche thematische Abdeckung eines Themas in einer eher dem Feature als der Rezension zugehörigen Gattung eine Sättigung beim Leser hervorgerufen wird, die das Verlangen auf das Buch zu erschöpfen droht. Früher gab man sich auf Seiten der Presse mit einem Teaser, einer neugierig machenden Rezension zufrieden. Doch heute wird oft die Essenz derart verdichtet dargeboten, dass es am Ende für einen Cliffhanger nicht mehr reicht. Leider können sich Verleger die Ablehnung eines solchen „Kooperationsangebots“ meist nicht leisten, obwohl nicht nur gedruckte Rezensionen sondern selbst die früheren Bestsellermacher Talkshows nur in wenigen Fällen noch echten Schub verleihen können.

Science-Fiction des Buches

Galt gerade noch der Ebook-Reader als der letzte Schrei, gibt es jetzt schon biegbare Bildschirme. Und die Projektion von Inhalten direkt auf die Netzhaut auch ohne Google-Brille ist schon längst in Arbeit. Was bedeutet das zu Ende gedacht? Lebte das Lesen bislang von der Interaktion, der lustvollen Begegnung oder beängstigenden Konfrontation mit überraschenden, anderen Welten, so droht irgendwann der Unterschied zwischen eigenen Gedanken und den Projektionen ins Gehirn zu verschwimmen (ja, auch Gehirn-Maschine-Interfaces gibt es heute bereits in rudimentärer Form). Werden wir dann in Zukunft noch staunen oder über uns selbst nachdenken oder nehmen wir alles hin, weil es ja schon Teil von uns zu sein scheint? Aber vielleicht wird das ja nur noch ein gradueller Unterschied zu heute sein, wenn man bedenkt, mit welcher Leichtgläubigkeit oft Propaganda der Medien (ja, die gibt es auch im Westen) als eigene Meinung adaptiert wird.

Voyeur auf der African Queen

2012 veröffentlichte Helge Timmerberg „African Queen“ (Rowohlt). Gut, man mag an der ein oder anderen Stelle denken, dass man nolens volens zum Voyeur der Liebesprobleme des Autors wird. Aber das ist nicht schlimm. Denn es wäre kein Buch von Helge Timmerberg, wenn er es nicht nur wieder wie kaum ein anderer
vermöchte, dem Leser Allgemeingültiges über die ewigen Themen Liebe, Tod, Angst, Lust, Sehnsucht und Freiheit zu vermitteln und vor allem zu zeigen, dass wir prinzipiell letztlich alle ähnliche Sorgen haben. Das entschädigt dafür, dass Afrika eigentlich nur Schauplatz für diese Reflexionen ist. Deshalb möchte man so einen hardcore-subjektiven Reisebericht einer Tier-Doku oder einem „und dann fuhren wir nach …-
Reisebericht“ immer vorziehen, denn hier werden Tiere, Landschaften und Reisebegegnungen nicht einfach nur benannt und kartiert, sondern immer in
lebendige Relation zu den Wünschen und Ängsten des Autors gesetzt. Dadurch kann der Leser an einer Reise teilnehmen, die es eben auch ermöglicht, zu erahnen, wie sich Malaria wirklich anfühlt oder wie es sein muss, an einer Flussmündung im Dunkeln spazieren zu gehen, von der man weiß, dass dort nachts die Krokodile jagen. Und das alles ohne den Lesesessel verlassen zu müssen. Lesenswert, und der Humor kommt wie immer auch nicht zu kurz. Vielleicht sein bestes Buch – aber das sagt man ja nach jedem Timmerberg.

Der zeitgenössische Buchhändler

Buchhändler werden nach den Branchenrationalisierungsmaßnahmen der letzten Jahre, die auch häufig dem nackten Überleben dienten, immer mehr zu reinen Betriebswirten, die am liebsten nur den zukünftigen nächsten Dale Carnegie oder Harry Potter verkaufen möchten. Es gibt mittlerweile Angebote von den mächtigen Zwischenhändlern, den Barsortimenten, die diese Auswahl der Bücher den Buchhändlern abnehmen und auf Basis ihrer ergiebigen EDV-Auswertungen nur noch Bücher mit nachweislich guten Umsätzen in die Läden legen. Das ist genau das gleiche Prinzip nach dem heutzutage Fernsehformate ausgewählt werden und das Niveauunterbietungskarussell in Gang gehalten wird. Dass bei einem zunehmenden Primat des ausschließlich wirtschaftlichen Erfolges auch auf dem Buchmarkt die Qualität der Inhalte zwangsläufig leiden muss, dürfte eigentlich evident sein.
Man mag vielleicht einwerfen, an was sich der Buchhändler oder Verleger denn sonst orientieren solle, als am wirtschaftlichen Erfolg? Aber das ist ja gerade das Besondere am Wirtschaftsgut Buch, dass es, indem es nicht nur zerstreuende sondern auch kritische, subversive, erschütternde oder erzieherische Inhalte transportieren kann, traditionell eine Funktion hat, die eben mit dem Engagement der Verlage und Buchhandlungen über das reine Schielen nach dem Umsatz hinausgeht. Wo früher ein Buchhändler auch ein inhaltliches Anliegen hatte oder seine Begeisterung für
Programmsegmente seinen Käufern zu vermitteln suchte, steht heute die Betrachtung des Buches als reine Ware immer mehr im Vordergrund – zugestandenermaßen sicherlich auch überwiegend notgedrungen. Damit soll nicht gesagt werden, dass es nicht immer noch zahlreiche Liebhaber unter den Buchhändlern und Verlegern gibt, bei denen das ökonomische Interesse ein zweitrangiges ist und die sozusagen wie Trüffelschweine Schätze der Literatur bergen und auf einen begrenzt aufnahmefähigen Markt bringen. Doch bis zu welchem Maße sich solche oftmals nur durch Selbstausbeutung gestützten Existenzen in einem immer schwierigeren Markt behaupten können, bleibt fraglich.

Der Akt des Lesens

Das Lesen erfordert Aktivität. Der Leser ist dank und mit dem Autor Akteur im
Entstehungsprozess des literarischen Produkts. Er „malt“ die individuellen Bilder hinter den schwarz-weißen Lettern, die das Buch ihm bereitstellt. Er bildet sich in der intimen Sphäre des Lesens eine Illusion, seine Illusion, er erschafft sich seine Charakterköpfe, „malt“ die Kulissen, vor denen diese agieren – und erlebt sich so selbst als Schöpfer, als Creator – als kreativ und aktiv. Passiv ist er hingegen vor dem Fernseher, der ihm allein fremdproduzierte Bilder vorsetzt. Wer kennt sie nicht, die Enttäuschung angesichts der Verfilmung eines Buches, das man mit Freude gelesen hat? Banal und tot erscheinen einem die Leinwandhelden oft, die vermutlich diffuser, damit aber auch lebendiger vor dem geistigen Auge erschienen sind und so einen intensiveren Eindruck hinterlassen haben.

Lesefähigkeit als Schlüsselqualifikation

Lesefähigkeit als Schlüsselqualifikation und primäre Kulturtechnik ist im Kommunikationszeitalter unerlässlich. Deshalb stellt die Leseförderung eine sehr wichtige kulturpolitische, eigentlich aber gesellschaftspolitische Aufgabe dar, die leider nicht mehr allein den Eltern überlassen werden kann, wenn diese mehrheitlich nicht mehr in der Lage sind, ihren Kindern Anregung und Vorbild zu sein. Dass es funktionieren kann, zeigen Erfahrungen aus Finnland, wo ein intensives staatliches Förderprogramm der Kinderkultur erste Erfolge auf breiter Front verzeichnet.